Kultur
Konzertrückblick: ScherbeKontraBass
Am 4. April spielten ScherbeKontraBass im Panorama Museum. Ein gelungener Abend, wie Fred Böhme zu berichten weiß.
07. April 2014
07.04.2014
ScherbeKontraBass, Rechteinhaber: Fred Böhme/Archiv Panorama Museum
Bad Frankenhausen. Der vergangene Freitagabend (4. April) glich vielen vorangegangenen Freitagabenden, denn eine Unzahl von Pendlern auf dem Weg nach Hause zu ihren Lieben steckten vor Autobahnbaustellen im Stau, schauten entnervt auf ihre Armbanduhren, fluchten oder betäubten sich mit lautem Radiogedudel… Auch Marius del Mestre, die eine Hälfte von ScherbeKontraBass und ehemaliges Ton-Steine-Scherben-Bandmitglied ereilte dieses Schicksal auf seiner Fahrt von Nordfriesland nach Bad Frankenhausen. Nach 10 Stunden Autobahn langte er kurz nach Halbacht im Panorama Museum an. Sein klein wenig früher hier angelangter Kompagnon Akki Schulz hatte bereits seinen Kontrabass und das nötige Zubehör ausgepackt und aufgebaut gehabt und half ihm nun beim restlichen Equipment. Marius war kaputt und nun gleich auf die Bühne? Das zahlreich erschienene Publikum blickte erwartungsvoll zur Bühne. Statt eines Soundchecks gab es eher eine kleine Funktionsprobe, dann waren die Musiker für eine kurze Erholungspause verschwunden.
Mit einer Viertelstunde Verspätung ging es dann los. Den Abend begannen sie mit dem alten Scherben-Song „Gefahr“, ein Stück, in dem die naive Revoluzzer-Pose von Rio Reiser bereits nachdenklicheren Tönen gewichen war und in dem das Leben als einen Balanceakt auf dünnem Eis oder auf dem Seil beschrieben wurde. Marius del Mestre, der durchaus seinen sehr unmittelbaren Zugang zu diesen Stücken demonstrierte, der sie mit einer leicht heiseren Stimme und einer wütenden Direktheit vortrug, die einerseits an Rio Reiser erinnerte, allerdings dessen gleichzeitige Sensibilität und Zerbrechlichkeit weniger spüren ließ, verkörperte eher das in die Jahre gekommene Punker-Kid, das irgendwann sich seinen Hippie-Idolen anschließen durfte und sich genau aus diesem Blickwinkel ihre Songs zu eigen machte. Genau diese Art der Neuinterpretation – die ungekünstelt, mitunter etwas naiv-direkt, dann wieder kraftvoll fast existenziell war - gab ihm Authentizität und hauchte den Songs erstaunlich viel neues Leben ein. Er ist wahrlich kein Freund fein gesponnenen Schönklangs, eher des zupackenden rhythmischen Rocksongs und so spielte und traktierte er seine Gitarre in eben dieser Weise. Daneben Akki Schulz, der einen halben Kopf größere schlaksige Lockenkopf, der erstaunlich virtuose Basslinien zu den Songs erfand und passagenweise irgendwie wie ein leicht melancholischer Clown neben seinem Partner auf der Bühne wirkte, auch er mit seiner ostdeutschen Biographie trug Facetten zur überzeugenden Neuaneignung dieses Liedgutes bei. Gleich zu Beginn entdeckte er mit einer Portion ungetrübter Naivität bemerkenswerte Parallelen zwischen den vorgetragenen Stücken und dem Panorama-Gemälde. In ihrem aktuellen Programm stand die Suche nach dem Paradies im Zentrum (Tourtitel „Schritt für Schritt ins Paradies“) und auch Thomas Müntzer habe dieses schließlich gesucht wie so viele Träumer, Idealisten und Utopisten. Und natürlich ging es den beiden an diesem Abend darum, zu allererst die alten Liedern von Rio Reiser und den Ton Steine Scherben zu zelebrieren. Als nächstes folgte auch gleich vom Scherben-Debüt der titelgebende Song dieser Tour. Es folgten Stücke wie: „Wir müssen hier raus!“, „Keine Macht für niemand“, „Die letzte Schlacht gewinnen wir“, „S.n.a.f.t“, „Der Traum ist aus“ oder Hits von Rio wie: „Menschenfresser“, „Alles Lüge“, natürlich „Juni-Mond“ und als letzte Zugabe auch „König von Deutschland“. Allerdings auch ein eigenes Stück „Paradies 2a“ wurde aufgeführt und passte sich organisch in dieses Programm ein. Mit viel Energie und Kraft zelebrierte Marius del Mestre den Gesangspart und den Gitarrenpart, und das nach dieser Kräfte zehrenden Anreise.
Das Überraschendste war für mich jedoch, dass diese Songs überhaupt nicht angestaubt klangen, sie sich durchaus heute noch als kritischer Kommentar unserer Gegenwart eignen, nicht zuletzt weil ihre Texte von noch immer aktuellen Sehnsüchten und uneingelösten Hoffnungen handeln. Da waren Akkis Kommentare durchaus nicht nötig gewesen, wenn er immer wieder auf solche Momente hinwies. Mit ihrer mitreißenden Performance gelang es letztlich den beiden, das konzentriert lauschende Publikum – es waren dieses Mal viele neue Gesichter aus Bad Frankenhausen zu sehen gewesen - von den Stühlen hoch zu holen. Die jubelnden Gäste entließen die beiden erst nach einer Reihe Zugaben. Fazit: Rio wird es dort oben auf seiner Paradies-Wolke Nummer 13 gefreut haben, zu sehen, wie hier seine Stücke noch einmal gefeiert wurden.
Fred Böhme