Historisch
Die Unstrut in der Schönfelder Flur
Ein historischer Bericht über die Unstrut, als sie ihrem Namen noch mehr gerecht wurde als heute, mit Anekdoten zum Wandel des Flusses. Von Werner Wetzel aus Schönfeld.
13. Januar 2013
13.01.2013
Gut zu erkennen: Die sich direkt am Dorf vorbeischlängelnde Unstrut
Schönfeld.
von Werner Wetzel, Schönfeld
Gedanken an fast 9 Jahrzehnte Leben in meinem Heimatort Schönfeld an der Unstrut. Bis in die 1970er Jahre war sie ein idyllisches Gewässer, ländlich im Charakter, eine Perle der Natur. Friedlich, fast unschuldig floss sie vom Südwesten kommend daher, konnte aber der Fluß böser Überraschungen werden. Von der Gemarkungsgrenze Bretleben fehlte linksseitig der Damm, dafür war die Uferregion mit Weiden und Pappeln bewachsen. Hier waren Nistgelegenheiten für Enten, Raben und Elstern in Fülle vorhanden. Im Fluss selbst tummelten sich viele Fischarten. Im Oberrieth floss der Flutgraben (Fallgraben), vor der Badeanstalt und den alten Sportplatz der Solgraben ein. An der Flachsröste vorbei erreichte sie an der Kirche den nördlichsten Punkt. Aufgrund der Verlegung der Unstrut liegt er heute am Wehr in Artern. Durch den nicht vorhandenen Damm konnte sich das Hochwasser in den Wiesen bis hinter Ringleben ausbreiten. Auch ein gut durchdachtes System unserer Vorfahren. Bei extremem Hochwasser reichte jedoch diese Fläche nicht aus und so kam es zu Überschwemmungen bis in unser Dorf hinein. Aus Gottfried Schäffers Chronik ist zu lesen, dass im Februar 1799 ein solches mit unübersehbaren Folgen gewütet hatte.
Dieses Naturereignis sollte sich jedoch im März 1947 wiederholen.
Viele Bürger werden sich noch erinnern können. Doch nicht vergessen dürfen wir das Jahr 1942, wo das Wasser bis zur Dammkrone angeschwollen war. Ein einziger See war in den Wiesen zu verzeichnen. Das Eis auf der Unstrut war bis zu einem halben Meter dick gefroren. Ende Februar / Anfang März trat das Tauwetter ein, das Eis war gebrochen. Große Schollen bewegten sich in Richtung Schönfelder Brücke. An den Eisbrechern vor der Brücke staute sich das Eis und die
Schollen ragten bis zu 2 Metern aus dem Eis in die Höhe. Vier Jünglinge von 14/15 Jahren flössten vom Oberrieth her auf einer großen Scholle. Lustig ruderten sie gen Schönfeld, bis ihnen das Lustige verging. Plötzlich kamen die sich kreuz und quer stapelnden Eisschollen vor der Brücke immer näher. In einen Strudel geraten kam das Eisfloss mittig in die Unstrut. Die angesammelten Leute auf der Brücke schrien entsetzt, was wird mit den Jungen? Doch im letzten Augenblick meinte es der liebe Herrgott gut mit uns und wir landeten auf der anderen Seite der Unstrut in den Weidenbäumen bei Fritze Schmidts Garten, wo uns die Feuerwehrmänner retteten. So waren wir vier leichtsinnigen Jungen noch einmal dem Tod von der Schippe gesprungen. Mit Entsetzen denke ich heute im gesetzten Alter an diesen jugendlichen Leichtsinn zurück.
Unser Dorf aber war vom Hochwasser verschont geblieben. Obwohl die Eisschollen sich bis zu zwei Metern hoch vor der Unstrutbrücke gestaut hatte, wurde diese nicht in Mitleidenschaft gezogen, so wie 1799, wo sie total zerstört wurde und erneuert werden musste (nach Gottfried Schäffer). Die vor der Brücke geteuften 3 Eisbrecher waren so
demoliert, dass sie durch neue ersetzt werden mussten. Ein riesengroßes Holzfloss mit einer wuchtigen Ramme brachte die Stämme für die neuen Eisbrecher in die Tiefe. Mit dem Abriss der Unstrutbrücke 1972/73 verschwanden die Eisbrecher, die jahrzehntelang einen guten Dienst getan hatten.
Im Frühjahr 1946 soll es wiederum ein Hochwasser gegeben haben. Leider kann ich dazu keine Aussagen machen, da ich mich noch in amerikanischer Kriegsgefangenschaft befand. Umso mehr erinnere ich mich an die Flutkatastrophe im März 1947, die mit dem Hochwasser 1942 nicht zu vergleichen ist, aber nicht ganz so verheerend war, wie die von G. Schäffer beschriebene von 1799.
Reichlicher Schneefall war im Winter 1946147 zu verzeichnen. Die Straßen nach Ringleben und Artern mussten frei geschaufelt werden, damit die wenigen Fahrzeuge (Milchwagen, Tierarzt) passieren konnten. Plötzliches Tauwetter und die einsetzende Schneeschmelze in den ersten Märztagen ließen unsere Unstrut 1947 stündliche ansteigen. Die Situation verschärfte sich immer mehr. Unsere sonst so friedliche Unstrut hatte wieder einmal ein anderes Gesicht bekommen. Das Wasser hatte die Dammkrone erreicht und die Überflutung der Wiesen nahm ungewöhnliche Ausmaße an. Am 14. März drangen die Fluten in unser Dorf ein. Aus den Straßen wurden Kanäle, wiederum wurde aus der Not eine Tugend gemacht. Mit zwei Paddelbooten mussten die Bewohner hinter dem Friedhof evakuiert werden, oder die, die sich in die oberen Gemächer gerettet hatten, mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Bis auf einige höher gelegene Stellen - vor der Schule, Kirche und Gasthof - stand die Wasserflut. Auch die Landstraße von Höhe des Sportplatzes bis an den Huhweg war überschwemmt. Dadurch waren auch einige Ländereien nördliche der Landstraße betroffen. Arg betraft es die beiden Häuser eingangs zur Kachstedter Straße. In der Harzstr. in Schlichts altem Haus Nr. 8, die Räume lagen ebenerdig zur Straße, war das Gemeindebüro untergebracht. Das Wasser stand fast 1 Meter hoch, sodass Mobiliar und Akten darin schwammen. Im Haus Nr. 7, heute Reinhard Wetzel, stand das Wasser bis zur Kellerdecke. Es war ein Chaos und ein weiteres bahnte sich an. Wie lange werden die Unstrutdämme dem Wasserdruck noch standhalten? Nicht lange und wir hatten drei Durchbrüche, 2 hinter Schäffers Garten und einer links der Unstrutbrücke am Pfingstfleck. Eine riesige Seenlandschaft war entstanden. Von der Landstraße 172 bis zum Reinsdorfer Bahndamm, vom Kleinbahndamm in Artern bis zum Bahndamm Bretleben-Esperstedt ein einziges Wassermeer. -- Schönfeld war eine Insel - von Wasser umgeben. -- Bei dem größten Dammbruch, etwa 60 - 80qm breit, war die Muttererde Ca. 50 - 80 cm tief in Richtung Bretlebener Weg weggeschwemmt worden. Das Areal wurde zum Notstandsgebiet ausgerufen und die Dammlücken durch manuelle Arbeit wieder instand gesetzt. Einzige Hilfsmittel waren Feldbahngleise - und Loren, die von einem Ochsen gezogen wurden. In vielen Häusern musste renoviert werden, unterspülte Hauswände instand gesetzt. Besonders betroffen hatte es Fritz Schmidts Scheune an der Unstrut und das Stallgebäude von Anna Stolle. Der Wiederaufbau der vorhandenen Schäden hatte auch seine Tücken, denn in den Nachkriegsjahren funktionierten nur Tauschgeschäfte - Naturalien gegen Materialen.
Heute ist vieles in Vergessenheit geraten, aber Erinnerungen sind Balsam auf der Seele.
Noch einmal überraschte die Schönfelder ein Sommerhochwasser 1956 als in Bruchstedt bei Bad Tennstedt ein Wolkenbruch sich vom Himmel ergoss, was aber keine nennenswerten Schäden hinterließ.
Heute ist die Überschwemmungsgefahr stark eingedämmt, weil Ende der 1950er Jahre zwei Rückhaltebecken bei Straußfurt und Kelbra gebaut wurden. Auch noch zu DDR-Zeiten begann man 1966 mit der Begradigung der Unstrut im Oberrieth als man auf der Wallhause den größten Bogen weg melioriert hat. In den 70er Jahren wurde die Begradigung weitergeführt, ein Bogen nach dem anderen verschwand im Niemandsland. In Schönfeld wurde die Unstrut Ca. 100m vom Dorf weg nach Süden verlegt. Unsere alte Unstrutbrücke wurde ein Opfer der Begradigung. Wir älteren Leute vermissen heute die alte Auenlandschaft und müssen mit dem kanalartigen Ausbau vorlieb nehmen, dem „großen Unstrutbogen", wie es deklariert wird.
Einen kleinen Ausgleich haben sich die Schönfelder durch die Schaffung des Nah-Erholungs-Zentrum (NEZ) mit dem 3 ha großen See geschaffen. Eine Oase, wo viele Leute Erholung finden sollen, auch in dem 1974 fertiggestellten Anglerheim. Dank allen, das sei hier gestattet, die ihr Scherflein dazu beigetragen haben.
Auf Grund der erlebten Hochwasser ließ mir die Neugier keine Ruhe, um zu wissen, wie sah es im 19. Jahrhundert in unserer Unstrut Region allgemein mit der Unstrut und seinen Wasserverhältnissen aus. Fündig wurde ich in der Sonderbeilage der Arterner Zeitung seit etwa 1800. Ich übernahm fast wörtlich die Zeitungsartikel:
1808 ein großes Sommerhochwasser, alles ist ersoffen.
1830 vom 14. I 1. bis 22.3.1831 ein sehr harter Winter, 22.3. 1831 Hochwasser- Überschwemmung im Rieth. Großer Schaden am Reinsdorfer Straßendamm. Die Chaussee existierte noch nicht.
1837 Anfang April Tauwetter eingetreten. Anschwellung der Unstrut. Die Wiesen und Rieth unter Wassser.
1839 3.-8.Juni heftige Regenfalle, Riethfluren unter Wasser.
1841 Unstrut-Helme Hochwasser im Januar, im März erneut. 2 Brücken des Dammes von Artern nach Reinsdorf weggerissen. 1844 erfolgte dann der Bau der
heutigen Landstraße.
1845 im März setzte Tauwetter ein, das Hochwasser richtete an der neuen Straße A-R erhebliche Schäden in der Bauphase an. 1846 Fertigstellung. Erst 1859 wurde die Chaussee Artern – Schönfeld bis Schwarzburgische Landesgrenze erbaut.
1861 27.1.-2.2. Hochwasser mit verschiedenen Dammbrüchen der Unstrut.
28.-31. März andauernder Gewitterregen erneut Hochwasser.
1864 zu 1865 im Winter die Unstrut zugefroren, 11/2 Fuß Stärke(Preußischer Fuß=32cm, Schweizer=30cm) Tauwetter trat am 6. April ein, das Rieth zwischen
Schönfeld, Artern, Reinsdorf und Ritteburg überflutet, zahlreiche Dammbrüche wurden gemeldet.
1870/71 Länger anhaltende grimmige Kälte (-21°C ) Unstrut 2 Fuß (64cm) zugefroren. Schneefall Februar/März in größeren Mengen. Tauwetter stellte sich ein das Eis begann zu bersten. Die Eisschollen stauten sich an der Unstrutbrücke haushoch, aber geringes Hochwasser. Am 29.Juni bei Langensalza und Mühlhausen wolkenbruchartige Gewitterregen hatten die Unstrut stark anschwellen lassen. Im hiesigen Gebiete gab es wieder mehrere Dammbrüche. Das Rieth war mannshoch überschwemmt und hatte sich in einen großen See verwandelt, Stellenweise ragten nur die Roggenähren aus dem Wasser, die gesamte Ernte war verloren gegangen.
1875 10, Juni fürchterliches Unwetter, orkanartige Stürme und wolkenbruchartiger Regen, aber kein Hochwasser, nur durch Hagelschlag großer Schaden.
1880 Januarhochwasser, aber nur Schönfelder und Ringlebener
Wiesen überschwemmt.
1881 In der Nacht zum 10. März war die Flut der Unstrut so hoch gestiegen, dass das Wasser bis ins Dorf reichte.
1382 Am 20, Dezember t rat plötzlich Tauwetter ein zu dem sich Regen gesellte. Unstrut und Helme schwollen dermaßen an. dass sie aus den Ufern traten .
1890 Ende November infolge eintretenten Hochwassers im Unstruttal mußte der Eisenbahnbetrieb auf der Strecke Artern – Naumburg ruhen.
1890 die Pfarre in Schönfeld gebaut.
1891 Anfang Juni schwere Gewitter mit wolkenbruchartigen Niederschlag richteten auf den Fluren im Unstruttal großen Schaden an.
1893 wird am 12.Juli gemeldet, dass Unstrut und Helme einen sehr niedrigen Wasserstand haben, so dass viele Mühlen zum Stillstand kamen. Landwirte mußten infolge
Futtermangels den Viehbestand. veringern. In den Brunnen versiegte das Wasser.
1895 Infolge rapider Schneeschmelze s t i e g die Unstrut in der Nacht vom 21. zu - 22. März um I ,80m. Ende April schwoll s i e durch anhaltenden Regen stark an und setzte die Riethländereien unter Wasser. Der Fluß zählte zwischen Schönfeld und Einmündung in die Saale 12 Schleusen.
1897 22. Februar, durch eingetretenes Tauwetter traten Unstrut und Helme über ihre Ufer.
1899 Durch andauernden Regen führt die Unstrut ab Mai Hochwasser.
1900 17. Februar , Plötzlich eintretendes Tauwetter lässt Unstrut und Helme über die Ufer treten und überfluteten die angrenzenden Wiesen und tiefer liegenden Felder.
Zum Abschluss noch Gottfried Schäffers Notizen vom 17. Februar 1799, ein ganz extremes Hochwasser.
Die Eisschollen drängten gegen die Brücke. Dadurch diese große Wasser vielen Schaden allhier anrichtete. Starke Eisschollen stämmten sich an Gottfried Schmidts Scheune aufeinander i n die Höhe bis an die Sparren und so s t ü r z t selbige übern Haufen. Die großen starken Weiden in Schmidts Garten schob es darnieder. Bei Christoph Deckert warf das Eis ein Stück Wand ein, 15 Ellen lang und bei Andreas Brambachs Scheunenecke ein Stück Wand raus. So lief das große Wasser bei den Backhause hinein und unten im Dorfe wieder hinaus. Bei dem Backhause lag eine große Eisscholle, welche Pfingsten noch zu sehen war. Anzumerken ist noch, dass es von 1788 -1945 insgesamt 163 Hochwasser gegeben hat. Und bis 1520 eine Fähre s t a t t einer Brücke über die Unstrut existierte.
Werner Wetzel